Und, fit für den Beruf?

Workshop „Fit für den Beruf, fit im Beruf“ vom 09.10. – 11.10.2015

Auf dem Weg nach Hause von einem intensiven Wochenende ist es Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Das von der ASBH frisch aus der Taufe gehobene Konzept einer Neuauflage von Wissen – Handeln – Weiterkommen hat seine Feuerprobe mehr als bestanden. Neun Teilnehmer – erfreulicherweise eine bunt gemischte Truppe aus Selbstbetroffenen in unterschiedlichen Stadien der Berufsfindung bzw. -ausübung – und drei Dozenten widmeten sich ein Wochenende dem kontroversen Thema der Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt.

Schon in der Vorstellungsrunde, in der die Teilnehmer ihre Wünsche und Erwartungen an dieses Seminar äußern konnten, zeigte sich schnell, dass die bisherigen Erfahrungen mit dem Thema höchst unterschiedlich waren. Es entwickelte sich schnell ein gegenseitiger Austausch, der durch eingeschobene „Wissenshappen“ seitens der Dozenten zusätzliches geistiges Futter bekam. Dabei ging der Bedarf zum einen klar in Richtung Umgang mit der Behinderung im Bewerbungsverfahren und am Arbeitsplatz. Zum anderen fand ein recht kontroverser Austausch angesichts der Situation eines Teilnehmers statt, bei dem unter anderem aufgrund der desolaten Gesundheitssituation in der entscheidenden Phase alle Versuche, einen Schulabschluss zu erlangen und berufliche Eingliederungsmaßnahmen erfolgreich zu durchlaufen, gescheitert sind.

Was macht man mit der Erfahrung, im Bewerbungsverfahren eine Stelle zu 80% zu haben, wenn man sie am Ende zu 100% nicht hat, weil man die restlichen 20% behinderungsbedingt nicht aufbringen konnte?

Wichtig war es auch, zu klären, welche Institutionen bei der Berufsfindung hilfreich sind und welche Erfahrungen die anderen Teilnehmer damit hatten. Die Tatsache, dass einige Teilnehmer aktuell im Berufsleben stehen, stimmt zwar grundsätzlich optimistisch, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass manch einer doch vor großen Hürden steht. Was macht man mit der Erfahrung, im Bewerbungsverfahren eine Stelle zu 80% zu haben, wenn man sie am Ende zu 100% nicht hat, weil man die restlichen 20% behinderungsbedingt nicht aufbringen konnte? Wie geht man   mit den Barrieren in den Köpfen von Abteilungsleitern und Personalchefs um, die es sich nicht vorstellen können, wie man als Mensch mit Einschränkungen, wie Blindheit, kognitiven Teilleistungsstörungen oder motorischer Art, trotzdem produktiv sein kann? Hier zeigte sich wieder einmal das, was die meisten von uns von klein auf kennen: Werde ich nicht aktiv, wer dann?! Denn das Wochenende machte wieder einmal deutlich, dass die berufliche Eingliederung oft an der Bürokratie und der fehlenden Motivation bei Betrieben und Institutionen scheitert, neue Wege zu beschreiten. Auf der Strecke bleiben Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung bisher durch alle Raster gefallen sind oder deren schulische und berufliche Biographie Schlaglöcher oder Sackgassen aufweist. Auch in einer Leistungsgesellschaft ist Platz für solche Menschen!

Wie definiert sich produktives Arbeiten? Ist eine Arbeit weniger wert, weil sie weniger komplex ist? Arbeitet ein Mensch, dem man einen Arbeitsplatz bietet, der seinen Fähigkeiten gerecht wird, qualitativ und quantitativ so viel schlechter, nur weil er nicht drei Dinge gleichzeitig erledigt und mehr Routinearbeiten ausführt? Leistung muss etwas ganz Individuelles sein und bleiben und vor allem als solches – auf welchem Niveau auch immer – wertgeschätzt werden! Es darf nicht zu einer gesellschaftlichen Maxime werden, auf die individuelle Leistung Maßstäbe anzusetzen wie auf den Krümmungsgrad von Salatgurken oder die perfekte Größe von Kartoffeln!

Ein gegenseitiger Annäherungsprozess ist nötig!

Allerdings – und das hat dieses Wochenende auch gezeigt – ohne eigenes Engagement geht es nicht. Die Behinderung als solche sollte nicht zum Schutzschild gegen Anforderungen werden. Denn berufliche Integration kann nur gelingen, wenn man sich im Rahmen der individuellen Möglichkeiten anstrengt und zeigt, dass man nicht auf rechtliche Schutzschilder angewiesen ist. Ein gegenseitiger Annäherungsprozess muss also in Gang kommen: Zum einen müssen Arbeitgeber davon überzeugt werden, dass es sinnvoll ist, uns einzustellen; zum anderen müssen wir unsere Qualitäten ausschöpfen. Da es zwar aktuell einige Initiativen der Arbeitsagenturen, Integrationsämter und IHKs gibt, gerade Menschen, deren Behinderung sich nicht in bestimmte Schemata pressen lässt, ins Arbeitsleben zu integrieren, diese aber in den Kinderschuhen stecken und bei Reha- und Berufsberatern entweder nicht bekannt sind oder schlicht nicht in Betracht gezogen werden, war es nur logische Konsequenz, dass die Idee aufkam, einen Arbeitskreis „Inklusion“ zu bilden, mit dem Ziel, auf das Potenzial von Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen und Ansprechpartner in überregionalen Gremien mit ins Boot zu holen, um wirksam auf die bestehenden Missstände aufmerksam zu machen.

Für diesen Text danke ich Martina Ermisch.

Ihr Dr. Carsten Dethlefs

Hinterlassen Sie einen Kommentar