Gut gemeinte Hilfe ist nicht immer auch wirklich gut – Jeder Mensch ist anders

Als körperlich behinderter Mensch kann man in mannigfachen Situationen auf sowohl technische als auch zwischenmenschliche Hilfe angewiesen sein. Wie ausgeprägt die Hilfsbedürftigkeit jedoch ist, lässt sich nicht generalisieren, denn jeder Mensch ist unterschiedlich begabt und findet sich in unterschiedlichen Situationen wieder. Daher lässt es sich bei technischen Geräten nicht einfach sagen, ob man damit einem blinden oder auch andersartig eingeschränkten Menschen helfen kann. Dieses ist lediglich am Individuum festzumachen. Ein generelles, auf alle Betroffenen übertragbares Anforderungsprofil ist somit nicht realisierbar. So benutzt ein Blinder mit ausgeprägtem Tastsinn eher die Braillezeile als die ständig vor sich hin plaudernde Sprachausgabe. Einem Menschen mit schwachen Fingern und gutem Hörsinn geht es eben genau anders. Vergleichbare Situationen findet man im täglichen Leben. Ich persönlich beispielsweise habe Schwierigkeiten, mir mit dem Besteck das Essen herzurichten und frage daher auch ungeniert nach Hilfe. Andere Menschen haben wahrscheinlich die Begabung, in dieser Situation allein zurechtzukommen, haben aber möglicherweise dann Defizite in anderen Bereichen, die mir wiederum leicht fallen.

Es kann manchmal etwas dauern, aber nach einer gewissen Zeit wird jeder Mensch, gleich welcher Einschränkung er unterliegt, eine eigene Strategie entwickeln, wie er oder sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen das eigene Schicksal meistert. Eine wertende Meinung in diesem Bereich bewirkt häufig nur das Gegenteil dessen, was man in gut gemeinter Absicht bezwecken wollte. So habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir nahezu fremde Personen Dinge beibringen wollten, für die ich schon längst andere Vorgehensweisen entwickelt hatte.

Diese Individualität sollte jedoch niemanden abschrecken, anderen Menschen zu helfen. Der oder die Betroffene wird selbst sagen, welcher Hilfe er oder sie bedarf.

Nun ist es in einer freien Gesellschaft niemals so, dass ein Mensch gänzlich stark oder schwach ist. Jeder Mensch, ob nun in irgendeiner Weise eingeschränkt oder nicht, kann in unterschiedlichen Situationen seinen Beitrag zum Gelingen des gesellschaftlichen Lebens leisten. Man muss sich auch nicht minderwertig fühlen, wenn dieser Beitrag nicht in einer Erwerbstätigkeit besteht. Ehrenamtliche Tätigkeiten sind genauso wertvoll. Jeder Mensch, gleichgültig ob eingeschränkt oder nicht, sollte die Gelegenheit bekommen, im Rahmen seiner Möglichkeiten zum Wohl und zum Gelingen der Gesellschaft beizutragen.

Ein Gedanke, der uns in den unmittelbaren Bereich der Ökonomie bringt, sei hier noch angeführt. Als blinder Mensch mag man sich manchmal so vorkommen, als lebe man in einer sozialistischen Gesellschaft, denn obwohl man ganz andere Interessen hat, ist man im Bewusstsein der Öffentlichkeit doch auf wenige Bereiche reduziert. In einer zentral geleiteten Wirtschaft bestünde ebenfalls permanent die Gefahr, dass das Individuum ausgeschaltet wird und der Mensch lediglich als Rechengröße normiert wird. Hierauf weist beispielsweise Walter Eucken hin: „Zentrale Planung setzt Normung, Typisierung, Standardisierung voraus“ (Eucken 1952, S. 78). Durch eine zu starke Verbandszentrierung der Zwangsgemeinschaft visuell eingeschränkter Menschen darf es eben nicht dazu kommen, dass die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten übergangen werden und nur noch der kollektive Anpassungsdruck vorherrscht.

Mit dieser Aussage soll nicht der oft kritisierten Atomisierung der Gesellschaft das Wort geredet werden. Ganz im Gegenteil wird durch eine Konzentration auf das Individuum die Inanspruchnahme der Gesellschaft durch einzelne Interessen verhindert. Das Individuum wird hierbei nicht als Sandkorn verstanden, das sich beim geringsten Wind der Emotionen auf einen Haufen wehen lässt. Das Individuum soll vielmehr als Baum in einem Wald der Individuen gesehen werden, der sich gegen Wind und Wetter wehren kann. Der Wind kann den Baum zwar biegen, um ihn zu entwurzeln, braucht es jedoch einen sehr starken Sturm.

In Buchform ist dieser Text auch hier nachzulesen.

Ihr Dr. Carsten Dethlefs

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